Das Nachspiel zuerst

Überwachung.
Körperscanner.
Ein Tattoo heißt Sie »Willkommen«.
Diese Narbe – Fahrradunfall.
Schön, nicht wahr
und jene Streifen –
ja wissen Sie
als Frau, mit dem Gewebe
ist es nicht immer ein Vergnügen –
ach, das woll'n Sie gar nicht
wissen.
Waffen. Sprengstoff. Nagelschere?
Ja, die sind an and'rer Stelle.
Ich empfehle:

Tiefer blicken.
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Vorspiel

Ist der Mund dir wund,
so schweige –
die Hand, die ich dir reiche
stellt keine Fragen
nur die eine: Vertraust du mir?
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Gesellschaftliche Relevanz

relevant für die Gesellschaft:
Fußball – was noch?
Essen. Trinken.
Sex. Macht. Geld.
Unsinn!

Denn sind am Ende nur Du und Ich berührt,
ergibt das nicht schon ein relevantes Wir?

Das sei zu einfach? Nicht tief genug gedacht?
Nicht mit unheimlich vielen, unsagbar intelligenten Querverweisen
in alle möglichen Ecken der Kunst, der Medienwelt, der was-auch-immer
verzweigt, belegt, zitiert – ach ja, wir zitieren uns zu Tode –

Einfach. Ja, es ist einfach schön.
Und es ist vielleicht deshalb nicht tief,
weil es um Oberflächen geht.
Oberflächen, die wir alle auf uns tragen, auf denen sich
das abzeichnet, was wir sind, wo wir waren.
Ereignisse, die Spuren auf der Haut hinterlassen.
Innere Vorgänge, die wir zu verdrängen suchen,
weil sie zu schmerzlich sind – und die sich doch
ihren Weg bahnen, an unsere Oberfläche.
Auf das unsere Augen sie erkennen werden,
müssen.

Ach, emotionslose Massenbetrachtung.
Nicht mehr hinter die Bilder schauen zu können,
nur noch technisches Abscannen.
Analyse, Analyse, Analyse.

Bilder. Bilder. Bilder.

Wie ist das gemacht, was soll es bedeuten, wer soll das denn kaufen?
Entzaubert. Abgenutzt.

Steig. Steigere dich. Weigere dich.
Verweigere dich nicht deinem Gefühl.
Fühlst du es, so tu es!

Die Augen so sagt man, sind der Spiegel der Seele.
Und die Haut? Ja, die Haut ist dann wohl ein ganzer
Spiegelsaal.
In dem man sich verlieren kann –
und jeder Wölbung, jeder Biegung, jedem Haar,
jeder Pore, jeder kleinsten Krümmung, Fissur, Narbe, Falte,
nachspüren.

Sind es Dellen, Beulen, Falten? Unreinheiten?
Oder sieht man Erhebungen und Vertiefungen,
Wölbungen und Biegungen? Linien und Wellen.

Die Schönheit entfaltet sich stärker, wilder, freier,
je zärtlicher, mitfühlender, liebender der Blick dessen ist,
der sich anzunähern nicht scheut.

Ein solcher Blick trennt spielend U-N-R vom Wort
und erkennt die Einheit, statt der Unreinheit.
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Farbkorrektur oder Farbenspiel?

Zwang zur Anpassung oder Mut zur Brüchigkeit?
Wie stark muss man sich anpassen, um nicht auseinander zu brechen?
Und wie brüchig ist man noch in der totalen Anpassung?

Vermag die Haut all das zu zeigen?
Und vermögen wir, all das zu sehen?
Oder gar zu verstehen?
Ich weiß es nicht.

Drum betrachte ich sie.
Vorsichtig, unerschrocken.
Stück für Stück für Stück.
Bildet sie doch die Grenze
zwischen meinem Körper,
der Außenwelt
und deinem Körper.

Haut an Haut.
Näher können zwei Körper sich nicht kommen.
Die Haut ist Kontaktfläche – Übergangsschicht.
Mittler zwischen den Welten.
Ständig mit den Einwirkungen der Außenwelt
und den Auswirkungen der Innenwelt konfrontiert,
kommuniziert sie ununterbrochen und schweigt noch lange nicht,
wenn das, was in uns denkt, bereits gestorben ist.
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Zwischenspiel

Adonis und Aphrodite.
Mit denen spielt doch keiner.
Die werden bloß angeglotzt.

Mythen. Normen. Ideale. – Wer hat sie aufgestellt?
Die Gesellschaft formte sie? Sicher?
So sehen die gar nicht aus.
Soll'n die Ideale sich doch bitteschön verbiegen.
Wie lieben dafür laut.
Verbeult, wellig, zerknautscht und zart –
lebendig, hart.
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Bei näherer Betrachtung

werden selbst auf der glattesten Oberfläche Risse erkennbar.
Drum habe keine Angst – es gibt nur ein Anders.
Kein Besser.
Nur Mut, zeig Dich. Und halte dir rechtzeitig die Ohren zu.
Nicht jedem wird's gefallen, aber jeder wäre auch zu viel.

Bei genauerem Hinsehen erscheint mitunter selbst Vertrautes befremdlich,
doch dieses genauere Hinsehen bewirkt auch, dass das Fremde dir wieder
vertraut wird. –

Beinahe schon zwanghafte Hautanalyse der Passanten.
Beim Einkaufen, in der Uni, bei der Bank, auf der Parkbank.
Bein Arzt, Frisör, im Freibad.

Im Supermarkt an der Kasse drei Transsexuelle,
ebenfalls mit faszinierenden Hautbildern.
Ich spreche sie an, gebe Ihnen meine Karte.
Aber am Ende die Erkenntnis: hat man nicht gleich die Telefonnummern,
meldet sich niemand.
Schade!

Und dann dieses Mädchen!
Wunderschöne Pigmentstörung.
Aber ich bin geschäftlich hier.
Ich darf nicht enttarnt werden.
Verdammt.

Ein athletischer junger Mann mit Sommersprossen.
Eine kleinwüchsige Frau.
Ein Mann mit einer Hautkrankheit.
Ein älterer Herr mit Krampfadern.
Ein junger Mann – schlank, klein, nicht durchtrainiert, aber - ja- normal.
Ein braungebrannter Herr mittleren Alters.
Ein kleines Baby.
Ein älterer Herr, Freibadgänger. Schlank, muskulös, extrem gebräunt.
Ein Bodybuilder.
Ein braungebranntes Fitnessgirl.
Ein Junge, mit verpickelter Haut.
Ein Kind. Turnverein vielleicht.
Ein kleines dickes Mädchen.
Eine Afrikanerin.
Überhaupt verschiedene Hautfarben.
Ein Portugiese. Dunkle Haare.
Eine füllige, schöne Frau
und eine schlanke, bleiche.
Leberflecken. Überall.
Sie springen – Sie tanzen.
Ein Albino.
Eine alte Frau.
Farbenspiel der Adern.
Faszinierend. Schön. Berührend.
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Zweites Zwischenspiel

Sie sollte seine Angst zerstreuen, vernichten.
Ihm ein wenig die Zeit vertreiben.
Ihr war es so kalt und sinnlos
und sie lachte böse über sich selbst
und sie lachte herzlich über seinen Ekel
vor ihrem Blut und seinem Samen auf ihrer Haut.

Und sie erbrach sich zuletzt
über ihm und seiner Männlichkeit,
ohne dass er es recht bemerkte.
Eine Rebellion ihres Körpers.
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Model-Anweisungen

Bitte möglichst Sachen tragen, die keine Abdrücke hinterlassen.
Ja, ausgeruht wäre von Vorteil.
Ja, es wird anstrengend – es wird verdammt anstrengend.

Wie lange? Hm – kommt drauf an.
Zwei bis drei Stunden. Damit sollte man schon rechnen.

Es sind immer so 300 Bilder pro Person.
Und still halten ist sehr, sehr wichtig.

Ich beginne meist bei der Schulter. Das ist eine unverfängliche Stelle.
Und sie ist fast immer schön.
Immer wieder faszinierend anders und ein guter Anfangspunkt.
Und dann taste ich mich sozusagen mit der Kamera Stück für Stück
den Körper entlang.

Die Ausleuchtung ist ein wichtiger Punkt. Nicht zu hart, nicht zu weich.
Schatten sollen den Körper modellieren, aber zu viele Schatten sind schwierig -
im Nachhinein, beim Zusammensetzen.
Dann finde ich zwar die Linien, aber die Schatten wollen so gar nicht passen.

Der richtig schwierige Teil passiert ohnehin am Rechner.
Die Auswahl von Schärfe und Unschärfe –
und ja bei 300 Bildern kann es schon eine Weile dauern bis ich die richtigen
Übergänge gefunden habe, die interessanten Stellen.
Die, ja insgesamt, die Form.

Ob die entstehenden Gebilde die Person charakterisieren?
Nun, müssen sie wohl.
Schließlich sind es ihre Körper.
Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Letztendlich in der Installation zu stehen und mit der Riesenhaftigkeit
dieser Körper konfrontiert zu sein, kann heftige Reaktionen auslösen.
Wie es den Modellen dabei geht?
Nun ja. Sie haben es noch nicht gesehen.
Das werde ich erst noch erfahren.
Ich bin gespannt.
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Noch schnell

mit großen Namen um mich werfen.
Hm. Spencer Tunick, Leigh Bowery,
Lucien – Freud.
Paul Klee.
Und wie hieß nochmal die Künstlerin,
die immer diese dicken Frauen malt?
Auf den Glasscheiben – hm –
der Name fällt mir mal wieder nicht ein.
Ist ja typisch.

Reicht das? – Gut.
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